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Über zehn Jahre in Albanien

Am 27. August 2017 war ich auf den Tag genau 10 Jahre in Albanien, eine gute Gelegenheit, Rückschau zu halten, die Ist-Situation zu bedenken, aber auch nach vorn zu blicken.

 

Dabei ist Albanien ja eigentlich die B-Lösung gewesen. Wir Kapuziner hatten zunächst vor, einen Neuanfang im Kosovo zu wagen. Als wir nach längerem Suchen in westeuropäischen Kapuzinerprovinzen keine drei Brüder für diesen Aufbruch finden konnten, habe ich mich den italienischen und albanischen Brüdern in Albanien anschließen können. Heute muss ich klar sagen: die B-Lösung ist die richtigere Entscheidung gewesen. Gott führt uns Menschen eben auf seine Weise.

 

In Albanien gibt es nach wie vor einen großen Mangel an Priestern und Ordensleuten, die sich mit und für die Menschen in diesem Land engagieren. Der wüste Kommunismus und der Versuch, alles Religiöse und Christliche auszurotten, hat seine Spuren hinterlassen - bis heute. Die Kirche Albaniens, eine frühe Gründung des Apostels Paulus oder seiner Schüler, hat – Gott sei Dank - tiefe Wurzeln. De facto ist sie aber erst wieder 28 Jahre jung und eine Kirche im Aufbau.

 

Ich erinnere mich noch gut an meine Ankunft am Flughafen Tirana vor zehn Jahren um Mitternacht. Br. Prela hatte seinen Bruder geschickt, mich abzuholen. Er brachte mich nach Kamez, eine riesige Vorstadt von Tirana. Dort war ich die erste Nacht im Pfarrhaus bei Don Konrad. Die Nacht war lärmig und sehr heiß, das Zimmer lag direkt an der Hauptstraße; der Verkehr hörte nie auf und ich schlief damals sehr schlecht, auch wegen der inneren Anspannung, was das neue Leben als Missionar in Albanien wohl bringen würde. Heute schlafe ich meistens gut.

 

Am nächsten Tag wurde ich morgens von Br. Gjon nach Nenshat abgeholt. Im dortigen Konvent der Kapuziner habe ich die ersten 14 Monate verbracht, mich in der Pfarrei der Brüder in den Dörfern Hajmel, Nenshat und Dheu i lehtë engagiert, meine Sprachkenntnisse verbessert und mich in die sehr unterschiedliche Kultur und die manchmal ungewohnten Überraschungen und Gegebenheiten in diesem Land eingelebt.

 

Schon drei Tage nach meiner Ankunft musste ich damals die erste Sonntagspredigt in Albanisch halten. Br. Gjon hatte sie vorher korrigiert. Da ich nur ganz wenig Italienisch verstehe und spreche, und niemand der Brüder Deutsch kann, musste ich gleich alles in einer fremden Sprache kommunizieren, anfangs nicht so leicht, aber eine gute alltägliche Schule, wenn auch anstrengend. Noch in Frankfurt hatte ich ja die Grundlagen des Albanischen in einer Sprachschule gelernt. Dann war ich auch 6 Wochen im Kosovo gewesen und hatte dort bei einem Pfarrer gewohnt, der nur fünf Worte Deutsch sprach: Guten Morgen, haben Sie gut geschlafen, vielen Dank, auf Wiedersehen und gute Nacht.

 

Mittlerweile komme ich ganz gut mit der albanischen Sprache zurecht, traue mich natürlich auch, frei zu sprechen und zu predigen. Das gehört jetzt zu meinem Alltag. Ich weiß, dass ich immer noch manche Fehler mache, aber die Leute nehmen mich damit wohlwollend an. Es gibt sogar Situationen, dass mir das deutsche Wort nicht mehr einfällt, aber das albanische wohl.

 

Ich weiß natürlich auch, obwohl ich ja jetzt schon über 10 Jahre im Land bin und mich ganz gut inkulturiert und integriert fühle, werde ich auch mentalitätsmäßig wohl immer ein „Fremder“ bleiben. Um meinen deutschen Pass werde ich von vielen Albanern beneidet. Deutschland gilt für viele als das „gelobte Land“ – leider für die meisten unerreichbar.

 

Landschaftlich ist Albanien ein sehr schönes Land mit hohen Bergen und tiefen Schluchten, mit Wasserfällen und Seen, mit über 300 Kilometern Adriaküste und schönen Stränden, mit Feldern und Wäldern. Für viele Touristen gilt Albanien als ein Geheimtipp. Albanien ist aber auch ein Land großer Gegensätze. Man sieht auf den Straßen teure Luxuslimousinen und genauso Eselskarren oder Menschen, die ihre Lasten auf dem Rücken tragen. Die großen Städte expandieren in rasanter Weise, die Peripherie von Tirana ist in wenigen Jahren enorm angewachsen, die infrastrukturellen Veränderungen sind kaum anzupassen, die Bergdörfer entvölkern sich hingegen zusehends.

 

Es gibt nach wie vor viel Korruption und Misswirtschaft, ein schlecht aufgestelltes Rechtssystem und ein korruptes Gesundheitswesen. Der Staat ist schwach und die Menschen haben wenig Vertrauen in ihn, obwohl sie sehr stolz sind, Albaner zu sein. Es gibt eine hohe Arbeitslosigkeit und das Fehlen von Perspektiven. Viele junge Menschen wollen einfach nur weg. Das hat sich wie ein Gift in ihre Köpfe und Herzen gemischt. Und sehr viele leben schon im Ausland: in Griechenland, in Italien, in Frankreich oder anderswo. Auch die, die z.B. versucht haben, nach Deutschland zu kommen und von dort abgeschoben wurden, werden es wieder versuchen.

 

Seit Oktober 2008 lebe ich in der Kleinstadt Fushë-Arrëz in der nordöstlichen Bergregion des Bistums Sapa. Unser verstorbener Bischof Lucjan Avgustini hatte damals in der Pastoralkonferenz dringend einen anderen Priester für diese Aufgabe gesucht, nachdem ein Italiener krankheitsbedingt ausgefallen war.

 

Im Jahr 1995 kamen zwei deutsche Franziskanerinnen hierher, von denen jetzt noch Sr. Gratias hier lebt. Sie haben die Missionsstation aufgebaut und sich auch um den Bau der neuen, großen Pfarrkirche St. Josef gekümmert. Durch ihr soziales Engagement waren und sind die Schwestern bis weit über die Grenzen der Pfarrei bekannt.

 

Fushë-Arrëz ist eine arme Stadt mit sehr hoher Arbeitslosigkeit. Die beiden Kupferminen sind dicht und die Kupferscheide ebenso. Auch alle Waldarbeiter wurden in den letzten Jahren entlassen. Immer noch ziehen Familien weg mit der Hoffnung, irgendwo Arbeit zu finden. Auch den Menschen in den Dörfern ringsum geht es ähnlich. Zum großen Pfarrgebiet gehören noch 22 arme Bergdörfer im Umkreis von 80 Kilometern.

 

Wenn ich zurückschaue: es ist Vieles entstanden und geworden in diesen 10 Jahren und den nun fast neun Jahren in den Bergen. Wir konnten Kirche aus lebendigen Menschen aufbauen durch unsere katechetische Arbeit, durch regelmäßige Präsenz bei den Leuten. Wir konnten Gottesdienste halten und Häuser segnen, Gemeinschaftstage für Jugendliche anbieten, wir haben einen großen Kreis von Lektoren, Ministranten und Katecheten. Das Leben in der großen Pfarrei ist lebendig und stark. Ich kenne mittlerweile sehr viele Menschen mit Namen. Und es ist viel Vertrauen gewachsen.

 

Auch die notwendigen Strukturen für kirchliches Leben konnten wir schaffen. In einigen Dörfern gibt es jetzt kleine Kirchen oder die Möglichkeit, in einer Schule einen Raum für Gottesdienst und Katechese (= Religionsunterricht) zu nutzen.

 

Natürlich gehen die Einflüsse unserer säkularen Gegenwart an der jungen Kirche Albaniens nicht vorbei. Die ständige Erreichbarkeit der jungen Menschen durch das Smartphone und die Abhängigkeit von sozialen Netzwerken sind Symptome unserer Zeit. Man geht nicht mehr in die Tiefe, sondern bleibt an der Oberfläche, unverbindlich und bindungsscheu. Die Aufgabe bleibt: den Menschen die Dimension des Evangeliums zu vermitteln, sie in ihrem Glauben zu bestärken und Ihnen zu zeigen, dass sie nicht allein sind.

 

Für mich gehören die drei Säulen von Kirche – Gottesdienst und Liturgie /Verkündigung und Evangelisierung / Dienst am Nächsten – untrennbar zusammen und ich erlebe eine große Ausgewogenheit im Gesamt unseres pastoralen Tuns. Die schwierige soziale Situation der Menschen, die große Armut und die hohe Arbeitslosigkeit nötigen uns geradezu, uns auch im sozialen Bereich zu engagieren. Täglich erreichen uns Hilfsgesuche armer Familien.

 

Die albanische Kirche hat keine finanziellen Ressourcen. Nicht einmal die Priester und kirchlichen Mitarbeiter haben ein regelmäßiges Einkommen. Nur weil uns sehr viele Menschen in Deutschland und Österreich auf bewundernswerte und treue Weise unterstützen, können wir hier den Menschen helfen.

 

Das geschieht z.B. durch Hausbauprojekte für arme Familien, die Reparatur von Dächern, die Hilfe in existentiellen Notlagen, durch Ausbildungsförderung für Schüler und Studenten, durch das Schweineprojekt, die finanzielle Unterstützung von alten und kranken Menschen mit ganz minimaler Rente, oder durch den Kauf des Holzvorrates für den Winter oder eines Ofens und die Verteilung von Schulmaterial. Da es in unseren Dörfern keine Läden mehr gibt, entstand auch die Idee, ein Verkaufsfahrzeug als mobilen Laden zu organisieren.

 

Ich darf an dieser Stelle allen Hilfswerken, Diözesen, Gemeinschaften, Pfarrgemeinden, Gruppen, Vereinen und Einzelpersonen ganz herzlich danken. Ohne die tätige Solidarität vieler Menschen mit der Kirche Albaniens und mit uns in Fushë-Arrëz, wäre die Situation noch viel schwieriger.

Wie geht es hier weiter?

 

Das Leben hier in den unterschiedlichen pastoralen und sozialen Aufgaben dieser Bergregion gefällt mir persönlich gut. Ich darf dabei mithelfen, hier Kirche aufzubauen, ich kann meine Talente und Fähigkeiten ein bringen und ich habe hier Verantwortung übernommen. Das motiviert mich. Ich sehe mich auch in den nächsten Jahren weiter in Albanien, so Gott will und die Gesundheit mitspielt.

 

Fushë-Arrëz ist ein guter Standort für uns Kapuziner: an der Peripherie des Landes und des Bistums, mit viel Armut und Perspektivlosigkeit unter den Menschen.

 

Wir sind derzeit auch im Gespräch mit einer albanischen Schwesterngemeinschaft, die vielleicht in Zukunft Schwester Gratias (77) hier auf der Missionsstation unterstützen wird.

 

Über zehn Jahre in Albanien – wie schnell die Zeit vergeht. Es war für mich eine gefüllte und arbeitsame, aber auch eine erfüllte Zeit.

 

Mit einem Wort von Dag Hammarskjöld, dem früheren UN-Generalsekretär und Gottsucher, das mich schon lange begleitet, möchte ich schließen: Für das Vergangene – Dank, für das Kommende – Ja!

 

 

Fushë-Arrëz, 16.01.2019

Br. Andreas Waltermann

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Kommentare: 1
  • #1

    Ursula Hinteresch (Sonntag, 19 Dezember 2021 04:01)

    Lieber Br. Andreas Waltermann,
    durch eine Freundin (Martina Bödefeld) habe ich von Ihnen, von Ihrem Leben und Ihrer Arbeit erfahren. Oft ist das Internet wirklich eine Möglichkeit, Neues zu erfahren und zu lernen. Natürlich hatte ich noch nie von den Kapuzinern in Albanien gehört. Ich bewundere Sie, die Mitbrüder und Schwestern sehr. In meinem Freundeskreis werde ich von Ihnen erzählen.
    Heute ist der 4. Advent. Sicher feiern Sie alle zusammen und freuen sich auf das Christkind.
    Viele liebe Grüsse und Gottes Segen
    Ihre Ursula Hinteresch